Viva Maria!

(Frankreich 1965) 

1954 war Robert Aldrichs Film Vera Cruz aufgrund seiner zynischen Helden ein kleinerer Skandal unter besorgten Kritikern und ein großer Erfolg an der Kinokasse und wie regelmäßige TV-Ausstrahlungen im deutschen Sprachraum beweisen, ist er immer noch bekannt. Knappe 10 Jahre später entschlossen sich der Regisseur Louis Malle und der Drehbuchautor Jean-Claude Carriere einen ähnlichen Stoff über Westeuropäer in Mittelamerika zu entwickeln. Mittelamerika, das war doch der Hinterhof der USA, wo sich die Spanier ihre eigene Form von antimonarchistischer Freiheit nach den napoleonischen Kriegen erkämpft hatten und von ein paar Ausnahmen sich diese auch bewahren konnten. Gut Mexiko hatte eine Reihe von Diktatoren, verlor einen Krieg gegen die USA, wurde kurzfristig eine Habsburgische Monarchie von Napoleon III. Gnaden, um dann doch dank einer Intervention aus Washington wieder zu einer Republik, die dann doch wieder von einer Revolution samt Bürgerkrieg (oder andersrum) erschüttert zu werden. 

Doch da gab es noch eine kleine britische Kolonie an der Südgrenze, womit wir am Anfang des Filmes wären. Zu Beginn des 20 Jahrhunderts gab es auch auf Irland Aufstände gegen die britische Oberherrschaft, die dann 1916 zu den Osteraufständen führte, die dann endlich dem irischen Volke einen eigenen Staat brachten und den Briten die Troubles[2]. Einer dieser Irischen Nationalisten kam beim Versuch eine Brücke zu sprengen durch britisches Militär ums Leben, und seine Tochter Maria (Brigitte Bardot) konnte nur entkommen. Und wie es der Zufall will, findet sie Unterschlupf bei einem Wanderzirkus, wo sich gerade die Bühnenpartnerin der französischen Sängerin Maria (Jeanne Moreau) das Leben genommen hat. Eine freie Stelle, halbwegs intakte Kleidung, die gerade nicht benötigt wird, ein schnelles Umschulen und eine neue Karriere steht einem offen. Wenn man dann noch nebenbei den Striptease entdeckt – etwas, was der Name Bardot eigentlich für das Kinopublikum voraussetzt[3], das hier aber auf intelligente Art enttäuscht wird – könnte man von einem simplen Backstageplot ausgehen, der nur unwesentlich besser wäre als Wirbel im Nachtclub (im Original Les Femmes de Paris). Doch den beiden großbürgerlichen Salonlinken Malle und Carriere schwebte natürlich ein kleiner Revolutionsfilm vor, die ersten Italowestern waren ja erst kurz zuvor in die Kinos gekommen[4] und zu einem fiktiven Staat, der von den Stereotypen lebt, gehört natürlich das Ausbeuten der einfachen Landbevölkerung durch Großgrundbesitzer und die von ihnen kontolierten Kirche natürlich mit dazu – nicht umsonst war einer der Regieassistenten der Sohn von Luis Buñuel. 

Dass ein Zirkus genügend Personal mit den Fähigkeiten hat, die es braucht eine Revolte zu unterstützen. Unter diesen befanden sich Kunstschützen (Claudio Brook) und Gewichtheber, und in einer Nebenrolle entdecken wir dann auch noch Paulette Dubois, die Zofe aus Renoirs Spielregel und den Schriftsteller Gregor von Rezzori, der über die Dreharbeiten zu diesem Film ein Buch schrieb, Die Toten auf ihre Plätze, das seinem Titel einem typischen Ruf für die Dreharbeiten zu Massenszenen verdankte. Angeblich, so Rezori, hätte der für die Kampfszenen zuständige Effektmann Lee Zavits einen Tobsuchtsanfall erlitten, als er feststellte, dass unter den Platzpatronen wie in Mexiko damals üblich[5] auch  zwecks gesteigertem Realismus ein paar scharfe Patronen befanden. Für die Kamera zeigte Henri Decaë verantwortlich, für die Musik Georges Delerue, die Damen wurden von Pierre Cardin eingekleidet und ein gewisser Volker Schlöndorff war auch noch Regieassistent.

In Frankreich war der Film äußertst erfolgreich und in Berlin sah ihn ein gewisser Rudi Duschke ein paar Duzend mal im Kino, bevor er zu einer der Galeonsfiguren der Deutschen 1968er Bewegung wurde.


[1] Für Carriere war dies einer seiner ersten Filme, er hatte aber zuvor bereits mit Jeanne Moreau für Luis Buñuel in Tagebuch einer Kammerzofe gearbeitet. 

[2] die dann 1999 mit dem Karfreitagsabkommen beendet wurden, bis ein paar – mit Verlaub – Deppen auf die glorreiche Idee einer Insel nur für die Engländer, sorry Schottland, sorry Wales, zu fordern kamen. 

[3] Man denke nur an Jean-Luc Godards Die Verachtung, die mit diesen Erwartungen spielt. 

[4] Der angeblich erste richtige, Haut für Haut von 1961 hatte ebenfalls ein Revolutionsthema. 

[5] Mit dem Wissen liest sich Buñuels Autobiographie Mein letzter Seufzer über den Schusswaffenfetisch der Mexikaner etwas anders. Carriere war Coautor bei diesem Werk, da sich Buñuel nach Dem obskuren Objekt der Begierde keinen weiteren Film zutraute.

IMDB Link: https://www.imdb.com/title/tt0059956/reference/
Die Indexieurng befindet sich hier: https://verfuehrungzumfilm.wixsite.com/exkursionen/post/viva-maria

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