(D 1928)
Das ist einer von den fast völlig vergessenen Stummfilmen aus der Weimarter Republik, der bislang in der Versenkung verschwunden war und nur in Fragmenten in verschiedenen Kinematheken vorhanden war, weil er als Dutzendware mit nicht sonderlich bekannten Namen angesehen wurde. Wie es bei Stummfilmen üblich war, konnte man die problemlos an andere Märkte anpassen, was auch heißt dass man zumindest partiell jeweils eine andere Geschichte erzählte. Ganz entfernt kann man eine Ähnlichkeit mit Erich Kästners Doppeltem Lottchen feststellen, den hier tauschen zwei Frauen ihre Rollen. Die eine Anni (Anny Ondra), eine Gräfin und Fabrikbesizerstochter soll in England an ein exklusives Internat, will aber eigentlich auf die Bühne, die andere Susi (Mary Parker) soll an eine englische Akademie für Revuegirls, mit dem Hintergedanken der Mutter sich als solches einen reichen Ehemann zu angeln, auch wenn diese eher nach Bildung strebt. Und wie es sich sportmäßig gehört, kommen da noch amouröse Verwicklungen in die Quere.
Auf der Kanalüberfahrt lernt sie einen jungen reichen Engländer (Malcom Tod) kennen, der sich aber sehr schnell an der streng geführten Tanzschule (10 Blumensträuße, 45 Liebesbriefe konfisziert und ein Dutzend falsche Vettern nur allein am ersten Tag abgewiesen - Gyula Szöreghy als Türsteher/Faktotum da hat so etwas herrlich bullenbeißerisches) die Zähne ausbeißt, nur um ein Date mit ihr in seinem Club zu bekommen. Was dann auch irgendwie nach Methode Charlies Tante dann doch funktioniert – man reibt dem Publikum diese Assoziation direkt unter die Nase.
Anny Ondra war eine Komödiantin und wie sie im ersten Akt des Films als neugierigeres Mädel sich hinter der Bühne versteckt und laut Susis Anweisungen sich nicht von der Stelle hinter ein paar Kulissen hinwegbewegen soll und dann beim Versuch von ihrem Vater, der da ebenfalls herumschleicht nicht gesehen zu werden dann am Ende sogar über die Bühne geflogen wird arbeitet wunderbar mit dem Slowburn und Tschechows Waffe.
Filme über Frauen, die nicht ihren vorgezeichneten Weg gehen sind, auch wenn gerne etwas anderes behauptet wird, nun wirklich nichts Neues – die Zwanziger Jahre mochten ihre Flapper, egal ob sie wie Colleen Moore aussahen[1] oder so verwegen wie Clara Bow[2] waren, das alte „kaiserliche“ Heimchen am Herd (man denke an Henny Porten)[3] oder der männermordende Vamp (Betty Blythe)[4] waren keine Identifikationsfiguren für ein junges, urbanes Publikum. Die Idee des Ausbrechens (geschlechterübergreifend) findet sich ja schon bei Goethe in seinem Egmont und als Trope auch in Lorzings Opern.
Wie Hitchcocks Pleasure Garden ist auch dieser Film ein Backtagesmusical und da die Musik nur vom Kinoorchester oder -pianisten kam, musste man den Gesang anders darstellen. Jedenfalls sind zwei Strophen eines Liedes, zu dem Anna Ondra tanzt und Saxophon spielt als Zwischentitel angelegt, so als solle das Publikum mit singen, allerdings ohne Bouncing Ball. Und ja, Anny Ondra hat den Titelsong mit dem Marek Weber Orchester aufgenommen, entsprechend wird auch noch für die Platte im Film Werbung gemacht. Wie es sich für ein Lustspiel gehört, findet sich am Ende das richtige Paar, was aber mit der anderen Hälfte des Rollentausches geschehen ist, bleibt natürlich offen. Ach ja, Hans Albers spielt einen der Freunde des Engländers, Regisseur Karel Lamac war in Prag, Wien und Berlin ein gefragter Regisseur.
[1] Synthetik Sinn wäre ein Titel für sie aber ihr Look wurde ja durch Louise Brooks (Tagebuch einer Verlorenen) berühmt.
[2] Wings, It, Call her Savage wären ein paar ihrer bekannteren Filme.
[3] Kohlhisels Töchter, Das alte Gesetz.
[4] She, aber man kann natürlich auch Teda Bara oder eine junge Bebe Daniels z.B. in The Affairs of Anatol als Beispiele heranziehen.
IMDB Link: https://www.imdb.com/title/tt0019354/reference/
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