Frankreich 1990)
Im Jahre 1989 brach eine Gewissheit in der Welt hinweg, 45 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs war die Teilung Europas, die in den absolut gegensetzlichen Vorstellung über die Neugestaltung der Herrschaftssphären in Europa fundiert war. Das vereinigte Königreich, Frankreich, die USA und die Sowjetunion waren sich nur in einem Einig – nie wieder wollten sie von Deutschland militärisch bedroht werden und deswegen teilten sie das Land in verscheide Besatzungszonen auf, die dann 1949 in zwei eigenständige Staaten mutierten.
Als dann im Zuge der Aufstände in den Satellitenstaaten des Ostblocks um die UdSSR gegen den Hegemon, die Herrschaft der Moskauer KPdSU auch die jeweiligen Marionettenregime hinweggefegt wurden, konnte man auch im niebelungentreuen Ost-Berlin nur noch versuchen den Druck durch das einzige Sicherheitsventil, das man noch kontrollierte, ablassen. Leider, oder Gottseidank - je nach Standpunkt, hat auch das die SED-Führung versemmelt[1], sie ließen nicht nur den Druck ab, sie entfernten den „Antifaschistischen Schutzwall“ komplett und damit im Endergebnis auch den eigen Staat – und damit auch die Illusionen von einem Sozialismus mit menschlichem Antlitz als Gegenentwurf zum kapitalistischen System, in dem jeder jeden Tag seine Haut zu Markte trägt.
Am 3. Oktober 1990 wurde Deutschland wiedervereinigt und längst nicht jeder empfand das als positiv. Zu viele Menschen hatten noch miterlebt, was es bedeutet, wenn der furor teutonicus dazu führt, das deutsche Truppen über die Straßen der Nachbarländer marschieren, fegte doch die NVA doch eindeutig die Tradition der preußischen Armee und war doch die Bundeswehr mit die größte Armee, die die NATO in Westeuropa aufzubieten hatte.
In den intellektuellen Debatten, die damals in den Feuilletons tobten, konnte sich natürlich auch Jean-Luc Godard nicht der Stimme enthalten und äußerte sich unter anderem mit diesem Film.Als Schweitzer beherrscht er neben seiner Muttersprache Französisch auch das Deutsche gut genug um seinen Marx und Hegel im deutschen Original lesen zu können, weswegen dieser knapp einstündige Film auch ständig zwischen diesen Sprachen (und Englisch) wechselt. Seine Hauptfigur, Lemmy Caution ist kein Unbekannter, diese Filmfigur wurde in den frühen 1960ern als Parodie auf James Bond geschaffen[2] und bereits 1965 durfte (Produzenten lieben bisweilen Experimente) auch Godard einen Film dieser Reihe drehen – Lemmy Caution gegen Alpha 60.
Deutschland als Frontland im Kalten Krieg war natürlich auch immer das Einsatzgebiet von Spionen, und Spione waren immer ein beliebtes Thema für Thriller[3] und Lemmy Caution ist irgendwie aus der Zeit gefallen und in Vergessenheit geraten, dabei hatte er nur einen Observationsauftrag irgendwo in der DDR. Ein NATO-Agent (Hans Zischler) kann ihn aufspüren, nur um ihm mitzuteilen, dass sich sein Auftrag erledigt hat und Lemmy macht sich nun auf den Weg nach Westen, was für Godard nur der Aufhänger ist, seine Gedanken über Deutschland, seine Kultur und die Geschichte des 20. Jahrhunderts auf seine typische Art und Weise darzulegen. Ja, manches nimmt in seiner Machart bereits seine Geschichte(n) des Kinos voraus, bereits der Titel ist eine Anspielung auf den Film Deutschland im Jahre Null von Roberto Rossellini, und da die Neun im Französischen fast wie „neu“ klingt, hielt der Verleiher es für angebracht die neun zu neu zumachen, denn für alle war das wiedervereinigte Deutschland etwas neues. Dass Helmut Kohl den Beitritt der DDR über Artikel 23 GG durchführte verhinderte über die 2+4 Gespräche tatsächlich eine Diplomatische Stunde 0.
Und auch die Stunde 0 dient als Ausgangspunkt, durch die damit, philosophisch gesehen, inkludierte Zerstörung der realen Welt. Und wenn man ehrlich ist, dann war die DDR ein ehemaliges Kriegsgebiet, wo es uns kein Wunder nimmt, dass in einer Einstellung ein defekter Trabi und Don Quichotte begegnet, die in einer Sequenz liegt, die mit einem Blick auf Grimmelshausens Der abenteuerliche Simplizissimus in einer Taschenbuchausgabe eingeleitet wird.
Auch die Musik fällt einem ins Auge, manche Einstellungen erinnern an Week-End mit seinem Konzert auf einem Bauernhof, hier hingegen singt ein Chor vor den Resten einer Scheune[4], während woanders eine Violinsonate von Schostakowitsch aufgeführt wird. Die Filmschnipsel sind die üblichen, Eisenstein, Lang, Murnau und natürlich das bekannte Material der Wochenschauen aus Berlin und Moskau. Wie sich das ganze dann Entwickeln würde, blieb in seinen Augen offen. Da lässt Godard seinen üblichen Skeptizismus spüren. Mit seinen Aussagen über den Glanz der Waren und ihren zweifelhaften Nutzen traf er jedenfalls, wenn man heute, 35 Jahre später durch die Innenstädte zieht, genau ins Schwarze.
[1] Oder um ein Filmzitat aus Easy Rider leicht abgewandelt zu bringen, they blew it.
[2] Die Filme hatten damals Kultfilmstatus, Rufe wie „Lemmy – Achtung!“ oder „Lemmy, vernasch ihn“ seitens des Kinopublikums gehörten damals, so hat es zumindest mein Vater mir erzählt, wenn wir gemeinsam vor 40 Jahren, diese im Fernsehen gesehen haben und er sich an seine Studienzeit erinnerte.
[3] Man denke neben dem bereits genannten James Bond, der die eher dreckige Arbeit mit all ihrem Glamour übernahm auch an die eher Schreibtisch gebundenen Denker eines John Le Carre wie Smiley.
[4] Godard ahne da wohl nicht, dass er ähnliche Bilder in seinem For ever Mozart verwenden würde.
IMDB-Link:https://www.imdb.com/title/tt0101307/reference/
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