Solo für einen Vampir

(Belgien/Frankreich/BRD 1971)

Brügge sehen und sterben – gut, der Film beginnt im Nachtzug nach Ostende, aber auch Ostende ist im Spätherbst eine tote Stadt, und da muss man ja fast automatisch die Oper Korngolds[1] denken. Auch hier geht es vordergründig um ein Liebespaar Valerie(Danielle Ouimet) und Stefan (John Karlen), das frisch verheiratet in einem Luxushotel absteigt und da einer seltsamen ungarischen Gräfin (Delphine Seyring) begegnet.

Der Film lebt von seiner traumhaften Stimmung, Delphine Seyrig als lesbisches Vampir, Regisseur Harry Kümel inszeniert sie als Grand Dame im Stile einer Marlene Dietrich, sie wirkt als wäre sie einem Film von Josef von Sternberg wie Entehrt oder Die Scharlachrote Kaiserin entsprungen, die alle anderen Personen an sich bindet und um sie kreisen lässt. Daniele Ouimet als frisch Verheiratete möchte eigentlich ihren Ehemann John Karlen genauer kennenlernen und drängt darauf ihre Schwiegermutter kennen zu lernen, woran dieser aber kein Interesse hat, was dazu führt, dass zum ersten Male Blut fließt, Männer mögen es nun mal nicht, wenn sie beim Rasieren mit einem Rasiermesser gestört werden – nein, es liegen da noch Welten zwischen diesem Moment und Buñuels Andalusischem Hund

Aber Blut ist natürlich die Verbindung zu Delphine Seyrig, die die ungarische Gräfin Elizabeth Bárthory spielt. Und der Name ist schließlich bekannt. Auch wenn Walerian Borowczyk sich dieser Person erst zwei Jahre Später in dem Film Unmoralische Geschichten annehmen sollte, wusste doch jeder, dass diese frühneuzeitliche ungarische Gräfin wegen hundertfachem Massenmord an jungen Frauen, in deren Blut sie zur Hautpflege angeblich[2] zu baden pflegte verurteilt wurde und – Adelsprivileg – eingemauert starb, ihre nichtadeligen Helferinnen wurden hingerichtet. Kümel spielt mit dem Mythos, in dem er auch Ermittlungen wegen Mädchenmorden in die Handlung einbringt und den Rezeptionisten des Hotels ob der Erscheinung der Gräfin erstaunen lässt, der Mann in seien 60ern kennt sie noch aus seiner Jugend als Page. Und ja, die Gräfin ist in Begleitung (Andrea Rau) unterwegs, ob es sich dabei um eine Gesellschafterin, Sekretärin oder Geliebte handelt, bleibt anfangs offen. Für die Gräfin sind die Flitterwöchner ersteinmal potentielle Beute. Seit Sheridan Le Fanu's Roman Carmilla, ist die Vampirin als Lesbe konnotiert, auch wenn Dreyer diesen Aspekt in seinem Film Vampyr nicht aufgriff, tat das doch Roger Vadim in seinem … und vor Lust zu sterben eine Dekade zuvor und nur ein Jahr zuvor kam der erste Film aus Hammers Karnstein-Triologie Gruft der Vampire in die Kinos, doch das erste Opfer im Film ist die Gesellschafterin, die von Eifersucht und Verlassensängsten geplagt wird, einem Unfall mit Stefans Rasiermesser zum Opfer fällt.

Aber nichts ist in dem Film so, wie es den Anschein hat – ein Telephongespräch mit seiner Mutter führt bei Stefan zu einem Gewaltausbruch, in dem er seine Gattin vergewaltigt, aber das führt zu deren versuchter Flucht[3], die aber von der Gräfin gestoppt werden kann, aber nebenbei es deren Begleitung erlaubt, Stefan zu verführen, was zu ihrem Tode führt. Und ein Tod führt zu dem nächsten – vielleicht. 

Der wohlige Schauer, der uns umfängt, wenn am Ende die Vampirin ganz traditionell auf der Flucht vor dem Sonnenlicht gepfählt wird, wird verstärkt wenn uns der Film mitteilt, dass das, was wir jetzt sehen, Valerie und ein Mann mit einer Teenagerin auf einem nächtlichen Platz beim Zuhören einer ungarischen Kapelle, ein paar Monate später geschieht und Valerie mit der Stimme der Gräfin spricht.

Stilistisch hat der Film etwas schlafwandlerisches, leere Gänge, ruhige Musik und immer wieder die Sonne über dem Ärmelkanal, an dessen abgelegeneren Stränden immer noch die Betonbefestigungen des Atlantikwalls zu sehen sind. Regisseur Harry Kümel wollte, dass die Kleidung der Gräfin in den Farben Schwarz, Rot und Weiß sind, die Farben der Nazifahne, Andrea Rau's Gesellschafterin sollte an Louise Brooks erinnern, so wie diese in Der Büchse der Pandora 40 Jahre zuvor ausgesehen hat. Der Einsatz der Sonne am Horizont wurde dann auch von Paul Schrader in seinem Film Die Katzenmenschen aufgegriffen, der sich ebenfalls mit der Einsamkeit spezieller Menschen beschäftigt.

[1] Deren größter Hit, Glückdas mir verblieb war ja den Aufhänger für die entsprechende Episode in dem KompilationsfilmAria war. 

[2] Dieses Element findet sich erst in Quellen des 18. Jahrhunderts, über 100 Jahre nach dem Tod der Gräfin. Ob die Opfer nun „nur“ einfachem Sadismus zum Opfer gefallen sind, oder vielleicht nur ein Vorwand für die Schwächung des kalvinistischen Hauses durch katholische Gegner wird in der Forschung debattiert.

[3] Die ein wenig an den Anfang von Ernst Lubitsch Monte Carlo erinnert.

IMDB Link: https://www.imdb.com/title/tt0067690/reference/

Die Indexierung befindet sich hier: https://verfuehrungzumfilm.wixsite.com/exkursionen/post/blutige-lippen


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