So This is Paris

Ernst Lubitsch wurde für den Film Rosita nach Hollywood geholt, und er landete erstml bei den Warner Brothers, doch irgendwie wurde er dort nicht richtig warm und dieser Film sollte der letzte für dieses Studio sein. Er wurde groß in der Produktion herausgestellt, doch dann zum allgemeinen Erstaunen der Fachpresse mitten im Sommer, einer normalerweise schwachen Kinozeit im Hinterland in den Vertrieb gebracht. Der Film machte zwar einen kleinen Gewinn, aber der hätte doch um einiges größer seien können, wenn man diesen doch ein wenig (für das Hinterland höchst) frivolen Stoff anderes vermarktet hätte[1]. Und frivol war dieser Stoff auf alle Fälle. Lubitsch und sein Drehbuchautor Hanns Kräly hatten sich der alten französischen Farce Le Revillion von Henri Meilhac und Ludovic Halévy angenommen, die schon Johann Strauss (Sohn) zu seinem Welterfolg Die Fledermaus verholfen hat. Aber Lubitsch ist Lubitsch und so erzählt er die Geschichte auf seine unnachahmliche Weise. 

Blicke fallen über die Straße, und das was die gelangweilte Gattin (Patsy Ruth Miller) des Arztes Paul Girot (Monte Blue) erblickt weckt ein simples Verlangen nach sexuellem Abenteuer. Gegenüber wohnt ein Tänzerpaar, das gerade in eine Probe für eine orientalische Szene steckt. Er, Maurice (George Beranger) sieht aus, als wäre er den Photographien eines Arthur Albert Allen[2] entsprungen und sie, Georgette (Lilyan Tashman) trägt auch nur das notwendigste; und wenn man von etwas träumt, was man nicht erreichen kann, dann muss man den Reiz natürlich beseitigen. Ein Wort zum Gatten und dieser geht in die Wohnung gegenüber, um den falschen Vorführen ungehörigen Benehmens die gesellschaftlich richtige Antwort folgen zu lassen. Man ist ja in Paris. Aber es stellt sich heraus, dass Georgette eine alte Bekannte von ihm ist, und auch Maurice stellt sich als sympathischer Mensch heraus. Paul lädt ihn ein, vergisst aber den Stock, mit dem er ihm Anstand einbläuen wollte. Und jetzt beginnt das Spiel der kleinen Lügen. Maurice bringt den Stock zweimal, nur um eine Chance zu haben, seiner Nachbarin nahe zu sein, Georgette bestellt Paul zu einem Rendezvous in ein Cafe, wobei dieser mit gut 100 km/h durch die Straßen von Paris jagt, sich dabei mit einem Polizisten verbal anlegt und dafür drei Tage im Gefängnis brummen muss Pech, dass er an dem Tag, wo er die Strafe antreten sollte mit Georgette heimlich auf den Künstlerball gehen wollte. Kaum ist er offiziell auf dem Weg in Gefängnis kommt natürlich der Gefängnisdirektor[3] der ihn persönlich abholen wollte, und wie der Teufel es will, nützt natürlich auch Maurice die Gelegenheit, der einsamen Gattin jetzt seine Gesellschaft aufzudrängen. Der Gefängnisdirektor ist zwar selbst nicht invitiert, doch Maurice kann sich die Chance nicht entgehen lassen, seiner „Gemahlin“ noch und noch den Abschiedkuss zu geben. Paul und Georgette gewinnen auf dem Ball noch den Charlstonwettbewerb, übersehen dabei, dass der Ball im Radio übertragen wird und seine Gattin hört natürlich die Übertragung und entscheidet ihn vom Ball abzuholen. Georgette hat einen anderen Galan gefunden, Paul erkennt seine Frau nicht mehr, sie probiert ihm klar zu machen, wie sie die Situation mit dem Gefängnis geklärt hat und er ließt in der Zeitung die sentimentale Beschreibung wie er sich bei der Festnahme von seiner Gattin verabschiedet habe. Und dann knallt uns Lubitsch noch die eiskalte Moral hin während Maurice seine Hofrunde in dem „kleinen Vogelhaus“ dreht: Mann soll sich nicht ohne Hemd am Fenster zeigen. 

Für Lubitsch ist die Haltung des Schauspielers in der Einstellung wichtig, die Geschichte erzählt er durch das, was er dem Zuschauer sehen lässt und der Witz entsteht im Kopf des Zuschauers durch das, was ihm an Blicken vorenthalten wird und erwartbare Bilder plötzlich durch die gezeigte Realität auf unerwartete Weise falsifiziert werden. Deswegen arbeitet er mit Türen und Vorhängen. Und für surreale Träume gibt es Kameratricks. So träumt Paul, dass ihn sein Spazierstock anstuppst und sogar in den Hals fährt und wenn er sich, nachdem ihm am Ende seine Gattin den Kopf gewaschen hat, schrumpft er gewaltig zusammen. 

Leider hatte er keinen Ton, Sam Warner experimentierte noch in New York mit dem Vitaphone-Verfahren, aber für die Ballszene, da wäre Ton wichtig gewesen, um das visuelle Chaos der Tanzenden Leiber noch zu verstärken. Lubitsch musste mit dem Personal arbeiten, was Warner unter Vertrag hatte, nur Lilyan Tashman, ein bekanntes Broadwayshowgirl, war von Paramount ausgeliehen, dem Studio bei dem Lubitsch dann eine dauerhafte Heimat finden sollte. Und wenn wir schon vom Tonfilm gesprochen haben, in einer kleinen Rolle als Stubenmädchen kann man Myrna Loy entdecken. Wie so viele Stummfilme geriet auch dieser in Vergessenheit und erst wieder im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts in das Blickfeld der Öffentlichkeit. Dem Rezensenten begegnete dieser Film erst als Ausschnitt in der von Gene Kelly produzierten Dokumentation That's Dancing wegen dem Beginn der Ballszene.

[1] Man vergleiche dies mit dem Erfolg der Eddie-Cantor-Filme, wo der Filmcharakter des von Cantor gespielten Eddie vom kleinen New-Yorker Juden in seinem ersten Tonfilm Whoopee!, einer verfilmten Broadwayshow zum kleinem russischem Emigranten in Roman Scandals verformt wird, um in den traditionellen kleinstädtischen Regionen größeren Erfolg zu haben. Hat sich da etwas geändert? 

[2] Ein amerikanischer Photograph der 1920er Jahre, bekannt für sehr freizügige „französische“ Bilder, auch einen entsprechender Film, Forbidden Daughters hat er gedreht. 

[3] Seine Funktion wird im Film nicht genannt, ich bezeichne ihn jetzt einfach so, wie die Rolle in der Fledermaus heißt.

IMdB-Link: https://www.imdb.com/title/tt0017409/reference/


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