Münchhausen

(Deutschland 1943) 

Was soll man zu diesem Film sagen? Oder besser, wie soll man anfangen, wenn man etwas über diesen Film erzählen will? Man könnte mit der Bücherverbrennung durch die NS-Studentenschaft beginnen, wo unter den Werken erwartbaren dedizierten linken und „nichtarischen“ Autoren auch ein erfolgreicher populärer Autor war, dessen letzter (selbst zensierter) erfolgreicher Roman Fabian eine Szene enthielt, bei der ein SA-Mann und einer vom roten Frontkämpferbund als zwei schießwütige Idioten geschildert wurden, was dem Autor Erich Kästner ein Publikationsverbot im Deutschen Reich einbrachte. Kästner selbst war Augenzeuge der Bücherverbrennung in Berlin und veröffentlichte seine Schriften im deutschsprachigen Ausland. 

Man könnte aber auch im Kaiserreich beginnen, als das Militär sich entschloss, die kinematische Propaganda 1917 in einer Produktionsfirma zu konzentrieren und so die Universum Film AG (UFA) zu gründen. In den 1920ern während der Weimarer Republik geriet die UFA dann in die Kontrolle des Medienunternehmers Hugenberg, der einer der wichtigen Politiker der DNVP war. 1933 wurde sie dann dem Reichspropagandaministerium unterstellt, und der zuständige Minister, Dr. Goebbels führte sie dann auch als Studiochef in Personalunion.

Man kann sich dem Film aber auch von seiner Geschichte her nähern, nicht umsonst nennt man den Baron Münchhausen auch den Lügenbaron, Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen, so sein richtiger Name, war ein braunschweigischer Adeliger, der in russischen Diensten stand und im frühen 18. Jahrhundert gegen Türken und Schweden kämpfte. Da seine militärische Karriere sehr schnell durch innenpolitische Wirren ins Stocken geraten war, hatte er sehr viel Zeit für das Leben eines Landedelmannes, wozu die Jagd und das Erzählen von Geschichten gehörte, die dann etwas berühmter wurden. Wenn die Geschichte besser ist als die Wahrheit, druckt die Geschichte heißt es in John Fords, Der Mann der Liberty Wallace erschoss, und so verschwand der wahre Baron von Münchhausen hinter dem literarischen. 

Im Dritten Reich war alles möglich – vom durchgeplanten Massenmord, der in seiner Effizienz wichtiger genommen wurde als die Versorgung des eigenen Militärs, bis hin zu ideologischen Widersprüchen (so wurde in Nürnberg ein Mitglied der deutschen Reichsregierung verurteilt, was nach den Nürnberger Rassegesetzen[1] eben kein Arier war). Dr. Goebbels liebte Kästner, insbesonders seine Gedichte. und die exzellenten Drehbuchautoren, die hatten Deutschland zwischen 1933 und 1939 aus verständlichen Gründen verlassen, hingegen hatte Kästner nur in die innere Emigration gewählt, allerdings unterlag er nicht einem Schreibverbot, ihm wurde „nur“ die Mitgliedschaft in der Reichsschrichtumskammer verweigert, und war auch noch erreichbar, zumindest eines seiner Stücke, „Verwandte sind auch Menschen“, war 1940 von der UFA verfilmt worden, natürlich ohne ihn zu erwähnen.
Deswegen entschied sich der Studiochef der UFA genau diesen Autor mit dem Drehbuch für diesen Film zu beauftragen, ein paar kleine Spitzen gegen die anderen Konkurrenten in der Reichsregierung kann man ja im Produktionsprozess immer noch abschleifen[2], als Star dieses Filmes musste natürlich der deutsche Superstar schlechthin besetzt werden, Hans Albers. Der war zwar nicht in der Partei, stand auch nur extrem ungern für irgendwelche Staatsakte zur Verfügung, dazu lehnte er den Antisemitismus der braunen Machthaber zu sehr ab, aber entsprach optisch dem rassischen Ideal der Nazis zu 100% und war seit den späten 1920ern Publikumsliebling, trotz oder vielleicht auch genau wegen der gebrochenen Charaktere die er immer spielte. 


Der Film beginnt so, wie man es von einem Kostümfilm aus der Zeit des Rokoko erwartet, höfisch gekleidete Menschen tanzen Menuett, doch plötzlich bricht die Musik und das Orchester beginnt in den modernsten, beinahe verboten heißen Rhythmen zu swingen, und die Reifröcke bewegen sich im Foxtrott – der Urgroßneffe (Hans Albers) des berühmten Münchhausen hat im Familienschloss zu einer Kostümparty geladen, und unter den Gästen ist ein junges Paar, dass etwas mehr über diesen berühmten Ahn wissen möchte, und der Gastgeber beginnt  zu erzählen, wie der berühmte Münchhausen denn so wirklichen gewesen sei – umtriebig, nie lange an einem Ort bleibend zieht er mit seinem treuen Diener Christian (Hermann Speelmans) von einem Abenteuer zum nächsten. Von Braunschweig geht es in Begleitung des dortigen Herzogs (Michael Bohnen) nach Sankt Petersburg zur Zarin Katharina (Brigitte Horney) wo er ein wenig in die Hofintrigen verstrickt wird, den Grafen Cagliostro (Ferdinand Marian) vor dessen bevorstehenden Verhaftung warnt und dafür mit ewiger Jugend belohnt wird, der Zarin steht nun nach einem anderen Liebhaber und beauftragt Münchhausen mit einem militärischem Kommando gegen die Türken, wo da Ränkespiel dazu führt, dass er seinen berühmten Ritt auf der Kanonenkugel (auch mit der Tricktechnik von 1942 immer noch spektakulär anzusehen) in das Osmanische Reich antritt, aber für ihn bringt das nur eine Begegnung mit dem türkischen Sultan (Leo Slezak) und weitere Verstrickungen in innenpolitische Ränkespiele mit den Veziren an der hohen Pforte, bis ihn die Reise dann irgendwie zum Mond führt. „Was bekam des Soldaten Weib aus der alten Hauptstadt Prag“ fragte Bert Brecht 1942 in seinem Gedicht des Soldaten Weib und genau diese Erfahrung muss auch die Gattin seines Dieners machen – für Menschen von der Erde ist der Mond tödlich, da dort alle sehr schnell altern, nur das Geschenk der ewigen Jugend schützt Münchhausen.

Jetzt beginnt es dem Zuschauer zu dämmern, oder sollte es zumindest, warum die Gattin des Großneffen Münchhausens, der diese Geschichte erzählt, doch etwas älter scheint, als so ein Lebemann wie er eigentlich als Trophyweib mit sich herum schleppen könnte, der Neffe ist der Baron selbst, wie er in einem kleinem, leicht nationalistischen Nachsatz erzählt, er selbst sei mit Blücher und auch später mit Moltke in Paris einmarschiert, und jetzt, an diesem Tag gibt er die ewige Jugend zurück, weil er die wahre Liebe mit der Frau an seiner Seite gefunden hat. 

Der Film war um ein knappes Drittel teurer als geplant und 1943 an der Kinokasse kein sonderlicher Erfolg, dazu empfand die deutsche Bevölkerung ihn doch zu schwermütig[3], Spitzen wie  „die Zeit ist kaputt“ wurden gestrichen, Ferdinand Marians Cagliostro Sätze über die Geheimpolizei waren ein wenig zu nah an der Realität des Dritten Reiches und sein Satz, dass man seinen Kopf besser nicht auf der Münze sehe, erwiesen sich für ihn als bittere Realität. Seit er im Jahr zuvor den Jud Süß gespielt hatte, wollte man den Schauspieler Marian nicht mehr verwenden.
So ein richtiger Erfolg wurde der Film erst 1944, wo ihn bis zum Jahresende dann über 18 Millionen gesehen hatten, aber da waren dann schon Schnitte erfolgt.

Was manche vielleicht erstaunt die nur prüde Hollywoodware aus dieser Zeit gewohnt sind, mit Nacktheit hatten die Nazis kein Problem (im Gegensatz zur Nachkriegsgesellschaft unter Adenauer), eher mit schwarzer Hautfarbe, aber die Schwarzen, die man als rassistische Stereotype am osmanischen Hof sieht, die waren auch im normalen Leben Menschen zweiter Klasse, für die anderen die nicht völlig den Idealen der NSDAP entsprachen, die lebten gemäß der Vorschriften der US-Army zur sexuellen Orientierung, don't ask, don't tell und hielten sich so an das Vorbild Chruschtschows.


[1] Das wäre ein Buch, was man samt seiner Kommentare meiner Meinung nach gerne hätte den Flammen übergeben können, wenn denn die Nazis selbst eine derartige Handlung durch ihr Beispiel verunmöglicht hätten. 

[2] Man denke an die eine Szene in Der Gasmann, die bei der Feuerzangenbowle besprochen ist. 

[3] Die Premiere war nur Wochen nach dem Verlust der 6. Armee in Stalingrad und der Kapitulation des Deutschen Afrikakorps in Tunesien. 

IMDB Link: https://www.imdb.com/title/tt0036191/reference/

Die Indexierung befindet sich hier: https://verfuehrungzumfilm.wixsite.com/exkursionen/post/münchhausen

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