
(Frankreich 1939)
Im Original heißt der Film Pieges, in Deutschland lief er auch unter dem Titel Mädchenhändler, aber Fallensteller beschreibt die Hauptfiguren besser.
Der Star des Films wird erst an dritter Stelle genannt und wir sehen sie erst als zweite Person auf der Leinwand, nachdem sich das Mordopfer neben ihr in den für Tänzerinnen in einem besseren Nachtclub vorgesehen Stuhl setzt. Beide sind dort für ein Tanzset zu mieten, für 2 Franc – dem Preis für ein günstiges Abendessen in einem Pariser Wirtshaus – oder, um beim Bild der Frau als Handeslwahre zu bleiben, der Preis für einen Stich in einem Pariser Massenbordell – und beide sind des Begrabschtwerdens überdrüssig. Die, an der uns das gerade vor Augen geführt wurde, hat auf eine Kleinanzeige mit der jemand eine Ehefrau sucht reagiert und so ihren Mörder gefunden. Die andere, Adrienne (Marie Déa) gibt ihre Aussage bei der Polizei ab und fällt wegen ihrer guten Beobachtungsgabe und auch vermutlich wegen ihres adretten Aussehens dem Kommissar Batol (Jean Témmerson) auf, der sie wegen ihrer weiteren Qualifikationen (Fremdsprachenkorrespondentin) als Lockvogel verwenden möchte, denn ihre Kollegin war bereits das vierte Opfer dieses Mörder, der seine Verbrechen mit Briefen bei der Polizei ankündigt.

Adrienne akzeptiert dieses Angebot, auch weil Batol ihr versichert, sie bei jedem Einsatz im Auge zu halten. Und bei ihren „Einsätzen“, die ihr von Batol zugeteilt werden, kommt sie tatsächlich relativ schnell in Gefahr. Ist der erste doch auf ein Inserat für einen Künstler, der Nacktmodelle sucht – nein, wir sehen sie nicht im Venuskostüm, der nächste entpuppt sich als Modell für einen unter Verfolgungswahn leidenden Modeschöpfer (Erich von Stroheim) – eigentlich harmlos, bis er bemerkt, dass sie eine „Spionin“ seines großen Konkurrenten ist und dann versucht sich und sie zusammen mit seinen Kostümen zu verbrennen, der nächste ein Musikliebhaber erscheint nicht, dafür lernt sie den nominellen Star des Filmes, den Nachtclubbesitzer Robert Fleury (Maurice Chevalier)[1] kennen. Es hat über eine halbe Stunde gebraucht, bis der nominelle Star des Films auf der Leinwand erscheint, und klar, zwischen den beiden entwickelt sich eine Beziehung. Chevalier war es egal wer unter ihm die weibliche Hauptrolle spielte, aber hier ist der Fixpunkt des Filmes eine relative Anfängerin mit nur zwei Filmrollen zuvor, ihre berühmtesten Filme, Die Nacht mit dem Teufel und Orphé waren noch in der Zukunft. Dass er hier nur ein paar Nummern auf seine unnachahmliche Art singt, und sonst nur versucht seine Geschäfte am Laufen zu halten und dabei unter den Verdacht gerät, dass er der gesuchte Serienmörder sei, ändert daran nichts.

Und als gutaussehender „Schwiegermuttertraum“ ist er natürlich auch eine Anspielung auf den Kriminalfall, der Frankreich im Frühjahr 1939, als dieser Film gedreht wurde, beschäftigte[2]. Der vermutliche Serienmörder, der vor Gericht stand war auch ein gut ausersehener Deutscher Emigrant oder vielleicht auch Spion, der in Deutschland bereits im Zuchthaus gesessen hatte, über den die Presse erbittert debattierte, ob er wirklich eine amerikanische Tänzerin für eine lächerlich geringe Beute von ein paar Wochenlöhnen erschossen hatte, nachdem er wegen eines anderen Mordes eines Maklers festgenommen wurde, oder ob er nur ein Komplize oder einfach nur der Sündenbock für andere war, jedenfalls fanden sich in seinem Besitz eine Reihe von Kleinanzeigen wie sie diesem Film die Struktur geben fanden.
Adrienne jedenfalls geht ihren Spuren nach und landet dabei auch bei einem getarntem Mädchenhändlerring, wie ihn Siodmack bereits zwei Jahre zuvor in seinem La Chemin du Rio geschildert hat, allerdings ist sie hier nicht das unterdrückte Opfer, sondern als die neue Zofe wäscht sie ihrem Dienstherrn (Jacques Varennes) gehörig den Kopf, als dieser sie zu seinem Betthäschen machen möchte. Wie sie ihn danach einfach zum Möbelstück degradiert ist die absolute Umkehr eines traditionellen Rollenverhältnis und stellt unsere Heldin als absolut kaltblütig dar, es ist für uns offensichtlich, dass sie sich auch ihrer Unterwäsche entledigt hat, während sie ihren Pyjama anzieht und sich mit dem Hausherren in ihrer Kammer unterhält, Siodmack zeigt uns, wie sie sich die Strümpfe auszieht, schneidet dann auf ihn und wieder zurück auf sie, als sie schon im Pyjama in ihrem Bett liegt und ihn dann herumkommandiert und wie eine Domina behandelt.

Und auch Batol beginnt sie wie einen Untergebenen zu behandeln, als sie ihn mit den Informationen, die sie in ihrer neuen Stellung über ihre Vorgängerinnen gewinnen konnte, in gleich der nächsten Szene versorgt. Und zum gegenseitigen Erstaunen treffen Adrienne und Robert wieder nach 55 Minuten Film aufeinander, nur einen haben wir bislang noch nicht richtig gesehen, Namen Nummer drei auf dem Vorspann, Pierre Renoir. Stattdessen erleben wir in einer sehr elliptischen Montage die Verlobung von Adrienne und Robert. Aber plötzlich nach der Hochzeit schlägt ihr ursprünglicher Auftrag wieder vor ihr auf und sie bekommt den Verdacht, dass Robert doch der Serienmörder ist, war nicht auch das Vorbild des Trio Infernal ein angesehener Anwalt, und so landet Robert tatsächlich als vermeintlicher Serienmörder vor Gericht. Sinnigerweise sind die einzigen, die von seiner Schuld nicht überzeugt sind, die Inspektoren Batol, Ténier und seine Gattin.
Und Siodmack zeigt uns sehr schnell, wer denn der wahre Täter ist, denn Roberts Geschäftspartner Brémontère, der problemlos Zugang zu Roberts Geschäftsunterlagen hat, wird uns in jeder Einstellung durch ein Gitter gezeigt. Brémontière wird uns zwar zusammen mit Chevalier vorgestellt, doch dieser setzt sich im Konzert auf den freien Platz neben Adrienne, was Adrienne und Robert beinahe das Leben kosten sollte, den Brémontière hat ein Problem mit Frauen, Siodmack hat seinen Freud gelesen.

Für Siodmack war dies sein letzter Film in Europa, danach nahm er einen Vertrag in Hollywood an, wo aber, wohl zu seiner leichten Enttäuschung, er erstmal einfache B-Filme drehen sollte; nach Deutschland, wo er bereits 1933 als Jude vor den Nazis geflohen war, kehrte er erst zu BRD-Zeiten zurück. Sein erster richtiger Hollywoodfilm war sinnigerweise eine weitere Variation über das klassische Hitchcock-Thema des unschuldig beschuldigten, den nur eine ihn liebende Frau retten kann, Phantom Lady. Die anderen Stars blieben alle dem französischem Film erhalten, Pierre Renoir übernahm dann vom wegen seiner Haltung zur Vichy-Regierung verfemten Robert Levigan die Rolle des Lumpensammlers in Kinder des Olymp, eine genauso finstere Rolle.

[1] Zu Chevalier und seiner Zeit nach seinen Erfolgen im Pre-Code Hollywood siehe Die Nacht vor dem Ultimo.
[2] Hans Schmid schilderte die Weidmann-Affaire und ihren Einfluss auf das Werk Robert Siodmacks in seiner Artekelserie zu Phantom Lady auf Telepolis (https://www.telepolis.de/article/Phantome-verschwundene-Huete-und-Enthauptungen-3368883.html) im Januar 2015.

IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt0031800/reference/
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