Die Stadt ohne Juden

(Österreich 1924) 

Hugo Bettauer schrieb 1922 einen Roman, in dem er sich ausmalte, was die nicht nur damals populäre Hetze gegen Juden, die ja in Wien eine lange Geschichte hatte, denn für Folgen haben könnte. Nein, an einen böhmischen Gefreiten aus der Provinz dachte er da noch nicht, auch wenn dieser kein Vierteljahrhundert später diesen Alptraum mörderischst in die Realität verwandeln sollte. Gemäß des uralten Diktums „wenn man einen Schuldigen braucht, dann nimmt man halt die Juden“ werden auch in diesem Roman diesen alle Übel, die die Gesellschaft plagen, als Ursprung zugeschrieben, was dazu führt, dass diese alle das Land verlassen müssen. „Toll“ jubeln alle Antisemiten erst mal, nur um dann festzustellen, dass eine kulturelle Verarmung eingesetzt hat, die auf Dauer auch zu einem wirtschaftlichem Niedergang führt. Am Ende wird der Fehler der Ausweisung revidiert. 

Der Regisseur und Schriftsteller Hans-Karl Breslauer verfilmte diesen Roman 1924, Bettauer selbst wirkte am Drehbuch mit, wurde aber nur kurz nach der Premiere 1924 in Wien von einem NSDAP-Mitglied erschossen, Breslauer selbst hingegen trat sogar noch 1940 in diese Partei ein. 

Entsprechend verschwand dieser Film bereits 1933 aus den Kinos, eine letzte Aufführung lässt sich für dieses Jahr in Amsterdam nachweisen, wo dann zufällig sechs Jahrzehnte später eine verschlissene Kopie im Niederländischen Filmarchiv entdeckt wurde, die man mehr schlecht als recht rekonstruierte. Erst 2015 wurde auf einem Pariser Flohmarkt eine komplette Kopie gefunden, die jetzt rekonstruiert im allgemein Umlauf ist.

Hans Moser spielt hier den großen Antisemiten, in seinem richtigen Leben weigerte er sich, sich von seiner jüdischen Frau scheiden zu lassen, da er auf der Gottbegnadeten Liste stand, genoss er aber Protektion[1] und war während des gesamten dritten Reiches einer der großen Stars des deutschsprachigen Kinos. 

In gewisser Weise nimmt da der Film die Realität vorweg. Auch hier wird ein Liebespaar durch den Rassenwahn getrennt, aber entgegen anderer Filme, in denen die Juden nur als homogene Masse beschrieben wird, werden sie hier als eine sehr diverse Gruppe gezeigt, wo die verschiedensten Strömungen untereinander ihre eigenen Konflikte austragen – eine Tatsache, die von der modernen Spielart des Antisemitismus beflissentlich ignoriert wird. 

Der Film steht in der Tradition des Wiener Volksstücks – es ist klar, dass die Stadt Wien ist, die Rolle des Bundeskanzler Schwertfeger (Eugen Neufeld) war nach dem damaligen Kanzler der ersten Republik geformt - und entsprechend haben wir auch das fesche Weaner Madl[2] Lotte (Anny Miletty) und die Bediensteten in Volberts Haus als andere typische Wiener Charaktere. Um beim Thema Volksstück zu bleiben, Hans Moser war 1930 auf der Bühne der erste Zauberkönig in Ödön von Horvaths Geschienten aus dem Wiener Wald, Ferdinand Mayerhofer, der den Rat Volbert spielte, war ebenso Burgschauspieler. 

Der Anfang des Films erinnert ein wenig an den Anfang von Fritz Langs Spione, den man in einer Cut-Up-Montage mit dem Alten Gesetz verschnitten hat und natürlich gibt es dann auch noch eine Prise Die freudlose Gasse. Und ja, wir wissen wohin die führte.

[1] Überliefert ist ein Gespräch mit dem Wiener Gauleiter, in dem dieser ihm versicherte, dass man den ganzen Tag ein Auge darauf haben werde, dass ihm und seiner Gattin nichts geschehe, worauf er fragte „Und nachts?“. Seine Frau emigrierte nach Ungarn, seine Tochter samt Gatten nach Argentinien. 

[2] Wir sehen das auch in Ophüls Liebelei, beziehungsweise dessen Remake Christine, oder in Der Reigen oder auch Wien, du Stadt der Lieder.


IMDB-Link:https://www.imdb.com/title/tt0016392/reference/


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